Tagungshaus
Wenn ein Ökonom und Finanzexperte gleich zu Beginn eines Interviews über seine durchaus biographisch begründete Verantwortung in der Wissenschaft spricht, um dann eine umfassende, globale und sozialorientierte Umweltethik zu fordern, setzt ein solcher Gast deutliche Maßstäbe. Es war Helge Peukert, der sich in der „Querdenker-Reihe“ der Kommende auf diese Weise schon am Anfang des Abends klar positionierte. Noch bevor er sich der Frage nach der Funktionsweise von Bank- und Finanzsystemen zuwandte, stellte er heraus, dass deren Betrachtung, wie überhaupt wissenschaftliche Arbeit, nicht wirklich wertneutral sein könne. „Da spielen immer Ideologien hinein“. Peukert selbst lehrte bis vor kurzem als außerplanmäßiger Professor für Finanzwissenschaft und Finanzsoziologie an der Uni Erfurt. Inzwischen ist er ganz an die Uni Siegen gewechselt, um dort den neuen Studiengang „Plurale Ökonomik“ mit auf- und auszubauen.
Im Gespräch mit Kommende-Dozent Richard Geisen zeigte der Wissenschaftler auf, dass er einen grundsätzlichen systemkritischen Ansatz hinsichtlich der Finanzmärkte vertritt. Ein besonderes Augenmerk richtete er in der Kommende auf das Instrument der Derivate, die nach seinen Angaben bei der Deutschen Bank rund die Hälfte der Bilanz ausmachen. Derivate sind abgeleitete Finanzmarktprodukte, bei denen mit den Marktchancen und -risiken von Primärprodukten (z.B. Devisen, Krediten usw.) Handel getrieben und sehr viel Geld verdient wird. Im besten Fall kann es sich auch um Kreditausfallversicherungen handeln, die sicherlich ihren Wert und ihre Berechtigung haben. Den weitaus größten Bereich machen jedoch reine Spekulationsgeschäfte aus, bei denen z.B. im Hochfrequenztempo mit Kursgewinn-Erwartungen spekuliert wird. Ein Geldinstitut könne dabei – so Peukert – schnell zur „Spielbank“ werden. Zwar klinge der altbekannte Satz „Wenn’s Kind spielt, dann ist es gesund“ gut und richtig, doch habe eine solche Wahrnehmung in diesem Zusammenhang mehrere Schönheitsfehler: Es werde u.a. mit Kundeneinlagen gehandelt, riskante Spekulationsblasen führten zu überdimensionalen Gewinnen, während jederzeit ein katastrophaler Crash drohe. Für die Realwirtschaft seien solche Finanzmarktgeschäfte weitgehend sinnlos.
Gesetzgeber und Zentralbanken hielt er vor, dass sie die Deregulierung der Finanzmärkte auch nach dem großen Zusammenbruch der Jahre 2008 und folgende nicht rückgängig gemacht hätten. Die Banken seien bis heute nicht wirksam in ihre Schranken verwiesen worden. Die Politik habe es hingenommen, dass den Steuerzahlern die Lasten der Finanzmarktkrise aufgebürdet worden seien, während die Aktienbesitzer am Ende als Profiteure aus der Krise hervorgegangen seien. So werde die soziale Ungleichheit ebenso weiter vorangetrieben wie die übermäßige Belastung der Biosphäre durch weiteres Wirtschaftswachstum. Bei all dem: „Die Oberschicht hat nicht gelitten.“
Wenn von Steuerparadiesen gesprochen werde, so hob Peukert auf Nachfrage von Richard Geisen hervor, dann werde sicherlich zu Recht auf Staaten in der Karibik verwiesen, aber auch ein Land wie Malta oder selbst Deutschland selbst böten ausreichend Schlupflöcher. An einem Beispiel zeigte der Referent die finanziellen Dimensionen auf: Mit den so genannten „Cum Cum“- und „Cum ex“-Geschäften im Aktienhandel hätten es Investoren geschafft, dem Fiskus rund 30 Milliarden Euro vorzuenthalten. Das Bemühen des NRW-Finanzministers Walter-Borjans in der rot-grünen Landesregierung, die Steuerflucht vor, allem mit Hilfe Schweizer Banken, zu verfolgen, werde wohl kaum eine Fortsetzung finden, wenn nun in Düsseldorf CDU und FDP an der Macht seien, erklärte der Referent.
Als weiteren Kritikpunkt merkte Peukert an, dass letztlich der Staat bei der Aufnahme von Schulden für Investitionen, die der Allgemeinheit zugutekommen, viel zu sehr von der Lage auf den Finanzmärkten abhängig sei. Das führe immer wieder zu erheblichen Verwerfungen.
Der Referent, der unter anderem das Buch mit dem Titel „Moneyfest“ verfasst hat, nutzte das Gespräch mit Richard Geisen und dem Publikum aber nicht nur, um an den Systemen herumzumäkeln, ihm war auch daran gelegen, Alternativen aufzuzeigen. Ein ganz entscheidendes Instrument, um den „Hochfrequenzhandel“ an den Aktienmärkten einzuschränken, könnte beispielsweise eine Finanztransaktionssteuer sein. Vereinfacht gesagt müssten dann die Händler Geld auf ihre Geschäfte bezahlen, was das Ergebnis erheblich schmälern und den Highspeed-Handel mit Spekulationsobjekten verlangsamen würde. Nach Peukerts Überzeugung könnte das die Zahl der gehandelten Derivate deutlich schrumpfen lassen. Man müsse die Finanzmärkte jedoch nicht nur entschleunigen, sondern zudem ihren Bezug zur realen Wirtschaft viel enger fassen. Derzeit erlebe man einen Entkopplungsprozess. In der Steuergesetzgebung brauche man ebenfalls Korrekturen, beispielsweise bei der Erbschaftssteuer.
Die Veränderungen seien vor allem erforderlich, um eine soziale Umverteilung zu erreichen, meinte Peukert, der u.a. auch wissenschaftlicher Beirat von Attac ist. Durch wirtschaftliches Wachstum werde die Verteilungsproblematik, das Ungleichgewicht von Reichtum und Armut, nun mal nicht gelöst.
Theo Körner, Dortmund