Tagungshaus
Das Buch mit dem Titel „Die große Rentenlüge“ hatten die beiden Autoren Dagmar Hühne und Holger Balodis vor sich aufgestellt, als sie beim Querdenker-Abend in der Dortmunder Kommende zu Gast waren. Sie räumten im Gespräch mit Dozent Richard Geisen gleich zu Beginn ein, dass der Titel durchaus provokant sei, aber, wenn man etwas zu Gehör bringen wolle, seien dazu meist auch deutliche Worte erforderlich. In der Rentenpolitik gebe es nun mal viele Irrlichter. Um diese aufzuzeigen und darüber hinaus alternative Modelle zu entwickeln, haben sie das Buch verfasst. Diese Inhalte bestimmten auch den Gesprächsabend mit über 100 Gästen.
Die Täuschungen beginnen, so Dagmar Hühne und Holger Balodis, schon Anfang der 2000er Jahre, als politisch gewollt das „Drei-Säulen-Modell“ forciert wurde. Neben der Einzahlung in die gesetzliche Rentenversicherung und nach Möglichkeit in Betriebsrentenkassen sollten die Bürger auch noch privat Vorsorge treffen. Dabei handelt es sich um Angebote, die unter dem Stichwort „Riester- oder Rürüp-Rente“ bekannt sind. Damals habe das Argument gelautet, das Umlageverfahren für die gesetzliche Rente werde viel zu teuer, die Beitragszahler müssten auf Dauer viel zu hohe Summen zahlen, damit das Rentenniveau für die Empfänger gehalten werden könne. Wenn man aber heute auf die realen Aufwendungen der Beschäftigten schaue, zeige sich, dass sie inzwischen einen viel höheren Beitragssatz entrichten, so die Journalisten. Denn die private Vorsorge müsse schließlich zusätzlich bezahlt werden, so dass man am Ende – privat und gesetzlich zusammen betrachtet - bei Beitragssätzen von bis zu 30 Prozent lande. Davon leiste der Arbeitgeber gerade mal gut ein Drittel. Entlastet worden seien folglich die Unternehmen. „Hätte man es seinerzeit so weiterlaufen lassen, wie es üblich war, gäbe es heute eine Aufteilung, bei der Beschäftigte und Arbeitgeber in gleicher Höhe in die Rentenkasse einzahlen“.
Die privaten Vorsorgemodelle selbst unterzogen die Referenten einer sehr kritischen Würdigung. Es handele sich in der Regel um recht teure Verträge, bei denen sich dann die Frage ergebe, ob der Vertragsnehmer am Ende auch entsprechende Zahlungen erhalte. In dem Zusammenhang machten die Journalisten darauf aufmerksam, dass die Versicherungswirtschaft in der Bundesrepublik eine starke Lobby habe. Anmerkung am Rande, so die Experten: Der Hauptsitz des Gesamtverbandes liege in Berlin genau gegenüber dem Bundesfinanzministerium.
Ein weiterer wunder Punkt in der Rentendebatte seien die Angaben zum Rentenniveau selbst. Der aktuelle Wert liege bei 48,2 Prozent, wobei allerdings verschwiegen werde, dass die Rente seit 1990 um ein Drittel entwertet worden sei. Man müsse zudem berücksichtigen, dass ein Rentner diesen Prozentsatz, der umgerechnet rund 1.400 Euro ausmacht, nur dann erreiche, wenn er über 40 Jahre eingezahlt habe. „Nur wenige kommen auf ein solches Niveau“. Heute zahlen 32 Millionen Beschäftigte in die Rentenversicherung ein. Auf der anderen Seite haben sich rund 20 Millionen ältere Menschen einen Anspruch auf Rente erarbeitet. Ein Problem bestehe auch darin, dass immer mehr Arbeitsverhältnisse im Niedriglohnsektor entstanden seien. Diese Beschäftigte können, aber müssen nicht in die Rentenkasse einzahlen und selbst wenn, sind es geringe Beträge. Hinzu kommen, so die Autoren, ca. 12 Millionen Erwerbstätige, die nicht in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen, weil sie als Freiberufler oder Beamte (u.a.) tätig sind. Ziel müsse aber ein Umlageverfahren sein, an dem alle Erwerbstätigen beteiligt sind.
Wie ein Art Masterplan aussehen könnte, um eine Kurskorrektur im Rentensystem zu erreichen, verdeutlichten die Referenten anhand mehrerer Eckpunkte, wobei sie dazu auch gerne „Best practice“-Beispiele aus anderen europäischen Ländern heranzogen:
- Eine Mindestrente halten die Autoren für zwingend erforderlich. In Holland, Luxemburg oder Dänemark sei sie schon seit Jahren üblich. In den Niederlanden liege der Betrag bei rund 1.100 Euro, Eine wichtige Voraussetzung: Seit mindestens 50 Jahren muss man seinen Wohnsitz in dem Land haben. Die Autoren wiesen aber darauf hin, dass in manchen Staaten dann das Äquivalenzprinzip entfalle, wonach sich – wie in Deutschland - die Höhe der Rente nach der Höhe der Einzahlungen bemisst. Das heißt im Umkehrschluss, dass in einigen Ländern die Rentenbeträge gedeckelt sind.
- Ein Wegfall der Beitragsbemessungsgrenze eröffne neue Möglichkeiten. Als Beispiel nannten die Autoren die Schweiz. Dadurch, dass auch für Besserverdienende die Beiträge immer weiter steigen, sei es gelungen, den Beitragssatz, den alle Einzahler aufbringen müssen, bei etwa zehn Prozent zu halten. Zum Vergleich: In Deutschland war es eine Erfolgsmeldung, als es hieß, dass der Beitragssatz zu Jahresbeginn von 18,7 auf 18,6 Prozent gesenkt wird.
- Ein durchschnittliches Rentenniveau von rund 1.900 Euro und eine Mindestrente von 1050 Euro halten die Autoren für sinnvoll. Dazu müsse das Äquivalenzprinzip im unteren und im ganz hohen Bereich ausgesetzt werden, es bliebe aber für das Gros der Rentner erhalten.
- Finanzierbar sei die gute gesetzliche Rente, wenn der Kreis der Beitragszahler erweitert und die Beitragsbemessungsgrenze angehoben oder aufgehoben werde. Außerdem müsse der Steueranteil wieder auf das ursprüngliche Drittel angehoben werden. Im Gegenzug könne die Subvention der Versicherungswirtschaft durch staatliche Förderung der privaten Vorsorge entfallen.
- Besonders wichtig sei es, für das erweiterte Umlageverfahren zu werben und damit für das Prinzip der gesetzlichen Rentenversicherung. Dabei solle man das Augenmerk vor allem auf die die jetzige jüngere Generation richten: Anders als beim Umlageverfahren drohe sie durch die derzeitige Entlastung der Arbeitgeberseite und den indirekten Zwang zur überteuerten Privatvorsorge auf der Verliererstraße zu landen.
Theo Körner