Tagungshaus
Den Schwerter Konsent zum Download finden Sie hier.
Der „Schwerter Konsent“ ist Ergebnis einer Fachtagung, die gemeinsam vom Institut für Katholische Theologie der TU Dortmund und der Kommende Dortmund organisiert wurde. Bewusst wurde auf den stärkeren Begriff „Konsens“ (Einigung, der alle zustimmen) verzichtet und die schwächere Bezeichnung „Konsent“ (Einigung, die niemand ablehnt) gewählt. Diese Begrifflichkeit aus der Soziokratie zeigt an, dass keine schwerwiegenden Einwände mehr vorliegen. Damit sind Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu ähnlichen Prinzipiensets angezeigt, die den „Schwerter Konsent“ inspiriert haben.
„Konsent“ zeigt also an, dass das Verfahren, welches der Prinzipienformulierung zugrunde liegt, nicht auf einer breiten Basis fußt und damit nicht zu einer direktdemokratischen Konsensherstellung geeignet ist. Diesem Sachverhalt liegen inhaltliche Überlegungen zugrunde: Der Beutelsbacher Konsens und der Dresdener Konsens haben gezeigt, dass Konsensformulierungen aufgrund ihrer normativen Kraft schnell eine fachdidaktische Hegemonie gewinnen können, was notwendige Kontroversen unterbindet (z.B. Herbst 2021, 333). Unser Ausgangspunkt ist vielmehr der Sachverhalt, dass man „[e]inen guten Kriteriensatz […] daran erkennen [kann]“, wie es der Politikdidaktiker Tilmann Grammes (2016, 156) formuliert, „dass er kontrovers bleibt“ (Grammes, 2016, S. 156). Diese Kontroversität soll bereits im Wochenschau-Sammelband „Der Beutelsbacher Konsens in der Religionspädagogik“ (Gärtner/Herbst/Kläsener 2023) hergestellt werden, in dem der „Schwerter Konsent“ aus verschiedenen Fachperspektiven (Religionspädagogik, Systematische Theologie, Politikdidaktik) diskutiert wird.
Der Schwerter Konsent fasst die Diskussionen und Ergebnisse der Fachtagung „New bottle, old wine? – Ein neuer Blick auf politische Themen in der religiösen Bildung mit Jugendlichen“ zusammen, die im März 2022 in der Katholischen Akademie Schwerte stattfand. Sechs Prinzipien (3k3p) sind demnach handlungsleitend für einen Religionsunterricht, der den politischen Dimensionen religiöser Bildung gerecht werden will.
Kontrovers
In Prozessen religiöser Bildung sollen solche Themen kontrovers diskutiert werden, zu denen es differierende Positionen in Theologie, Kirche und Gesellschaft gibt. Bedingung hierfür ist, dass die Positionen weder den Menschenrechten noch wissenschaftlichen Erkenntnissen, die anhand entsprechender Rationalitäts-, Methoden- und Argumentationsstandards gewonnen wurden, widersprechen. Berücksichtigt werden soll hierbei sowohl Kontroversität ad intra (also intra- und interreligiöse Vielfalt religiöser Traditionen) als auch ad extra (zwischen religiösen und säkularen Weltanschauungen).
Kritisch
Bei der Initiierung und Durchführung von Prozessen religiöser Bildung sollen Machtverhältnisse und soziale Ideologien (selbst-)kritisch reflektiert werden, um Abhängigkeiten und sich überlagernde soziale Ungleichheiten wahrzunehmen und ihnen entgegenwirken zu können. Daraus ergibt sich auch die Notwendigkeit, Kritik, Widerspruch und Protest gegenüber den bestehenden religiösen, sozialen, psychischen und naturbezogenen Herrschaftsverhältnissen und deren Verstrickungen zu artikulieren.
Konstruktiv
Religiöse Bildung soll die Lernenden ermutigen, indem die hoffnungsvolle Perspektive der Reich-Gottes-Verkündigung als kontrafaktische Deutungsperspektive der Realität in das Bildungsgeschehen eingespielt, erschlossen und auf ihre Plausibilität hin befragt wird. Antizipatorisch-erinnernd eröffnet die Orientierung an biblischen Gerechtigkeitsvorstellungen visionäre Zukunftsperspektiven ‚wider aller Hoffnung‘.
Positionell
Religiöse Bildung soll (reflektiert) positionell sein und im Sinne der biblischen Tradition als Anwältin Marginalisierter verstanden werden. Dabei sollen die Lehrer:innen ihre eigene Positionalität transparent machen und den Lernenden zugleich Freiräume der kritischen Reflexion bieten, damit diese sich zu dieser Positionalität bewusst verhalten können. Eine solche Grundkonstellation ermöglicht es, personeller, struktureller, institutioneller und existenzieller Überwältigung entgegenwirken zu können.
Partizipatorisch
In religiöser Bildung sollen die Lernenden mit ihren persönlichen Hintergründen, Ressourcen und Perspektiven umfassend berücksichtigt und zur Teilhabe am Lerngeschehen ermutigt werden. Sie sollen lernen, wie sie entsprechend ihrer eigenen religiösen bzw. weltanschaulichen Überzeugungen praktisch handeln können. Zugleich werden sie damit konfrontiert, dass aus christlicher Perspektive die eigene Praxis an Vorstellungen wie ‚Friede‘, ‚Gerechtigkeit‘ und ‚Schöpfungsverantwortung‘ zu orientieren ist.
Praktisch
Religiöse Bildung soll praxisorientiert sein, weil Religionen selbst praktisch sind. Neben der Auseinandersetzung mit religiösen Wahrnehmungen und Weltdeutungen sowie ihrer kritischen Beurteilung geht es folglich auch darum, Formen gelebter Religion zu erschließen. Nur durch die Beschäftigung mit spiritueller Praxis und (religiös motivierten) sozialpolitischen Aktionen eröffnet religiöse Bildung Wege, die Gesellschaft individuell und kollektiv handelnd zu verändern und gerecht zu gestalten.
Dortmund, 29. September 2022
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Literatur
Bederna, Katrin (2021): Religiöse Bildung für nachhaltige Entwicklung. Ein didaktisches Modell. In: RpB 44 (2), S. 61−71, DOI: 10.20377/rpb-151.
Herbst, Jan-Hendrik (2021): Braucht religiöse Bildung einen Beutelsbacher Konsens? Philosophiedidaktische Impulse für die religionspädagogische Debatte. In: Theo-Web 20 (2), S. 321–338. DOI: 10.23770/tw0226.