Tagungshaus
Schon für Geringverdienende lohnt sich Mehrarbeit oft nicht. Abzüge in einem komplizierten Geflecht aus wegfallenden Leistungen (etwa Wohngeld) und (steigenden) Sozialabgaben lassen den zusätzlichen Verdienst schmelzen - im Fall von Geringverdienern sogar überproportional. Möglich, dass trotz (mehr) Arbeit weniger im Portemonnaie verbleibt. Nicht aufeinander abgestimmte Regelungen aus Steuer- und Sozialpolitik verhindern ungewollt ein gesellschaftlich wünschenswertes Ziel, nämlich dass sich Leistung lohnen soll. Institutionelle Hürden stellen den eigenen Elan auf eine harte Probe.
Gibt es mehr von solchen problematischen Schnittmengen von Steuer- und Sozialpolitik? Wie verteilen Regierungen durch Gesetze steuerfinanzierte Privilegien? Wie beeinflussen Erbschaften und ihre Besteuerung Chancengleichheit? Welche alternativen Rahmenbedingungen könnten gesellschaftlich sinnvollere Voraussetzungen bereitstellen, damit sich Menschen entfalten können?
Die Kommende hat sich des Themas „Schnittmengen zwischen Steuer- und Sozialpolitik“ angenommen. Doch zunächst musste ein mühsam gefundener Termin abgesagt werden: Die Bundesjustizministerin hatte zwei Geladene - Prof. Dr. Rudolf Mellinghoff, Präsident des Bundesfinanzhofs (BFH) in München, und Prof. Dr. Rainer Schlegel, Präsident des Bundessozialgerichts (BSG) in Kassel - just an diesem Tag nach Berlin eingeladen. Nächster Termin mit zahlreichen Zugeständnissen aller Beteiligten: erst ein Jahr später. Geduld und Hartnäckigkeit zählten bei der Vorbereitung dieses Fachgesprächs zu den grundlegenden Tugenden.
Grundlage für das Treffen war ein Thesenpapier des Kommende-Dozenten Dr. Andreas Fisch. In seinen Thesen griff er auf in Fachwelt und Politik vorhandene und eigene Ansätze zurück, welche Reformen, soziale Probleme und Ungleichheiten entschärfen und Lasten zur Finanzierung des Gemeinwesens fairer verteilen könnten. Dipl.-Kfm. Hon Prof. Dr. Gregor Nöcker, Richter am BFH, verfasste einen ersten Kommentar, um die Thesen gegen den Strich zu bürsten. Von vorneherein sollte die Runde kontrovers besetzt werden, wohlwissend, dass die Positionen gesellschaftlich noch breiter gestreut sind. Vertreter der drei Zugänge Sozialethik, Steuern und Sozialrecht fanden sich zu einem sonst kaum stattfindenden Austausch zusammen.
Wie ist die Idee für dieses spezielle Fachgespräch entstanden? Kommende-Dozent Fisch verantwortet in seinem Fachbereich „Wirtschaftsethik“ eine Reflexionsreihe zum Berufsethos von Steuerberatern und -beraterinnen. Seither veröffentlicht Fisch Fachartikel zum Thema Steuergerechtigkeit, ein wenig behandeltes Thema in der Katholischen Soziallehre. Nöcker wandte sich nach der Lektüre an den Kommende-Referenten und beide entwickelten die Idee, über den Zusammenhang von sozialethischen, steuerlichen und sozialrechtlichen Fragen zu reflektieren.
Die kontroverse, gleichwohl konstruktive Diskussion der unterschiedlichen Perspektiven von Sozialethik, Finanz- und Sozialrecht zeigte, wie komplex die Materie ist. In diesem internen Fachgespräch wurde unter anderem über konkrete Reformvorschläge und ihre Auswirkungen auf Steuern, Abgaben und Privilegien für Familien, Alleinerziehende, Geringverdienende, Ältere im Ruhestand kontrovers diskutiert. Einige wünschenswerte Verbesserungen im Recht für bedürftige Menschen wären in ihren Auswirkungen kostspielig oder stellten die Gesamtkonstruktion des deutschen Steuer- und Sozialrechts in Frage. Dagegen fänden manche sinnvollen Vorschläge keine breite politische Unterstützung. So etwa die Reform der Erbschaftssteuer auf 10 % Steuern auf das gesamte Erbe ohne Freibeträge oder eine einheitliche Grenzbelastung aus Steuern und Sozialabgaben für Geringverdienende. Die Kommende wird den Themenkomplex weiter verfolgen.
Bildunterschrift:
Die Teilnehmer des Fachgesprächs zum Finanz- und Sozialrecht (v.l.): Dr. Andreas Fisch, Kommende Dortmund; Prof. Dr. Gerhard Kruip, Mainz; Prof. Dr. Thomas Voelzke, Kassel; Prof. Dr. Bernhard Emunds, Frankfurt; Prof. Dr. Gregor Nöcker, München; Prof. Dr. Heinrich Weber-Grellet, Münster; Prof. Dr. Rudolf Mellinghoff, München; Prof. Dr. Rainer Schlegel, Kassel; Prof. Dr. Georg Cremer, Freiburg; Prälat Dr. Peter Klasvogt, Kommende Dortmund; Detlef Herbers (schießt das Foto). Die einzige Frau in dieser Runde, Katrin Gerdsmeier, Direktorin des Deutschen Caritasverbands e.V., Berliner Büro, war kurzfristig verhindert.