Tagungshaus
Energiewende nach Corona
Die Corona-Pandemie für mehr Klimaschutz nutzen. Diese Forderung war in den Debatten um die Wege aus der Krise oft zu hören. Noch vor der Corona-Krise hatte die Kommende Dortmund zur Zukunft der Energiepolitik eingeladen. "Blockade der Energiewende? Technische und gesellschaftspolitische Einsichten" war das Expertengespräch über Umweltpolitik überschrieben. Es kamen Dr. Marie-Luise Wolff, Präsidentin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft e.V., Berlin, und Vorstandsvorsitzende der ENTEGA AG sowie Prof. Dr. Christian Rehtanz von der TU Dortmund.
Berechtigter Stolz auf Erfolge
Schafft Deutschland seinen Beitrag zum weltweiten Projekt der Energiewende? Erfolge wie das Pariser Abkommen (2015) sind maßgeblich auf die deutsche Diplomatie zurückzuführen. Stand heute hat Deutschland seine Emissionen gegenüber 1990 um 31 % reduziert. Waren alternative Energien 1990 an der Stromproduktion in Deutschland mit einem Anteil von 3,7 % kaum bemerkbar, machen sie mittlerweile (2019) über 40 % aus. Gleichzeitig konnte Deutschland die Effizienz der deutschen Kraftwerke erheblich verbessern. Und als bislang letzten großen Schritt hat Deutschland begonnen, aus der Nutzung der besonders CO2-intensiven Energieträger Stein- und Braunkohle auszusteigen. Gute Gründe stolz zu sein.
Gerade der Ausstieg aus Stein- und Braunkohle gilt als das Vorbild für die Politik: eine Herausforderung annehmen, in der Kommission mit Vertretern aus Gewerkschaften, Unternehmen, Naturschutz- und Bürgerinitiativen mit vielen Expert*innen aller Richtungen beraten und damit erreichen, dass der Ausstieg in dieser Form mitgetragen wird.
Hintergrund „Effizienz erneuerbarer Energien“: Ein wichtiges Argument für den Übergang von konventionellen zu alternativen Energiequellen ist die erhebliche Einsparung der benötigten Energie. Das hängt mit der Energieeffizienz zusammen. Konventionelle Energieträger sind höchst ineffizient bei der Nutzung ihrer Energie für den eigentlichen Zweck etwa beim Autofahren, während Strom hier fast maximal effizient ist. Diese Effizienzgewinne machen es möglich, mit weniger Energie die selbe Lebensqualität zu erhalten. Denn je effizienter eine Energieform, desto weniger braucht insgesamt erzeugt zu werden.
Welche Branchen sind bislang geschont worden?
Doch dann fällt der Elan der Politik rapide ab. Der Ausbau alternativer Energien wird gezielt gebremst. Der Netzausbau geht zu langsam voran, so langsam, dass Investoren mangels Leitungen keine Abnehmer finden. Und eine entsprechende Infrastruktur beim Laden und bei der Bahn lässt sich deutlich zu viel Zeit. Woran liegt es, dass der Vorreiter Deutschland zurückfällt und den Spitzenplatz, auch wirtschaftlich, in diesen Bereichen abgibt? Energiepolitische Ziele zu erreichen ist immer auch eine Frage der Verteilung von Zumutungen. Die Erfolge verdanken sich auch den Zumutungen der Politik für diese Branchen, etwa der Energiewirtschaft.
Welche Branchen sind denn über Gebühr geschont worden?
Weit unter dem politisch gesetzten Soll sind die Steigerungen der Erneuerbaren Energien in den Bereichen „Energie für Wärme“ (14,2 %) und „Energie für Verkehr“ (5,7 %). Im Verkehrsbereich wurde bisher kein CO2 eingespart. Der Dieselskandal verweist eher darauf, dass gesetzliche Vorgaben nicht immer ernst genommen werden. Was durch Technik an Verbrauch eingespart worden ist, haben größer gebaute Autos und mehr Verkehr überkompensiert. Und im Bereich Wohnen sind die zukunftsweisenden Vorgaben ausgeblieben. Dabei ist Heizen, also die Gesamtoptimierung aus Dämmung, Energiegewinnung und Energieeinsatz keineswegs trivial. Ergo: Vor allem den Bereichen Verkehr sowie Bauen und Wohnen hat die Politik keine großen Herausforderungen zugemutet.
Fast schon entschuldigend wagt Wolff die Rückfrage ans Publikum: Wer fährt denn die Autos und wer bewohnt denn die Gebäude, die so viel CO2 einsparen sollen? Es sind die Bürgerinnen und Bürger, sie erlebten keinen allzu großen Eingriff in diesen Lebensbereichen. Auf solche, auch bloß vermeintliche Stimmungslagen scheint die Politik Rücksicht zu nehmen. Zuviel Rücksicht? Gibt es mehr Mut zum Wandel bei Bürgern und Bürgerinnen, als ihnen zugetraut wird? Große Demonstrationszüge der Fridays for Future-Bewegung haben den Klimaschutz in all seiner Dringlichkeit ins Bewusstsein gerückt. Eine in Klimafragen weit gehend lahm gelegte Regierungskoalition hat darüber anscheinend endlich einen lange vermissten Elan gefunden. Ohne diesen gesellschaftlichen Druck gäbe es heute vermutlich nicht mal das „weitgehend zahnlose Klimaschutzprogramm“ (Wolff).
Der gesellschaftliche Wandel hin zu einem nachhaltigen Lebens- und Wirtschaftsstil in allen Bereichen lebt (und stirbt) folglich mit technischen Errungenschaften und politischen Vorgaben, die gesellschaftlich mitgetragen werden.
Welche Maßnahmen sind denn nun angemessen?
„Ist mein Beitrag relevant?“, so fragte eine Teilnehmerin beim Kommende-Forum mit großem Ernst. „Hilft es, was ich beim Einkauf auswähle, wenn ich mehr Fahrrad fahre usw.?“ Rehtanz sagt deutlich, diesen Einsatz brauche es dringend, aber er reiche eben nicht. Zumal sei er beim Verhalten aller pessimistisch: Ein heißer Sommer kann der Klimabewegung Zulauf bringen, aber auch den Kauf von Klimaanlagen anheizen. Wolff sprang der Teilnehmerin bei: „Es ist doch eher so, dass die Lösung gesamtgesellschaftlicher Probleme nach wie vor eine politische Aufgabe ist – und nicht einfach durch ‚Gewissensentscheidungen‘ jedes einzelnen verwirklicht werden sollte.“
Die neuerliche Blockade der Energiewende geht verblüffenderweise einher mit einer klaren Festlegung auf ein höheres Ausbauziel für Erneuerbare Energien - so eindeutig der Koalitionsvertrag, so geduldig das Papier. Was fehlt, ist die politische Kraft, die Rahmenbedingungen für Projekte bei den Erneuerbaren Energien zu schaffen. Photovoltaik und Windenergie sind nämlich durch kontraproduktive politische Vorgaben abgewürgt worden. Wolff zieht Bilanz: „Es drängt sich der Eindruck auf, dass weite Teile der Politik nicht mehr willens oder fähig sind, aus Grundsatzentscheidungen konkrete Handlungsnotwendigkeiten abzuleiten.“
Ein Grund für Zögerlichkeit und Ängstlichkeit in der Politik sind Proteste und Widerstände vor Ort. Wie bei der Bewegung „Fridays for Future“, nur mit einem anderen Ziel. Es formt sich Widerstand, der oft das Bekenntnis zur Energiewende wohlwollend teilt, aber zum konkreten Projekt in der Nachbarschaft „Nein“ sagt – die sog. „Nicht-in-meinem-Garten-Mentalität“. Folgt man dieser Haltung würde nirgendwo etwas erneuert.
Wie könnte der Verkehr zukunftsweisend nachhaltig aufgestellt werden? Früher war das Auto als technische Erneuerung die Lösung, um den vielen Pferdemist auf den Straßen um 1900 zu verhindern. Heute sind konventionelle Verbrenner Teil des Problems. Doch ungezählte Autoflotten sind auch bei batteriebetriebenen Modellen nicht die große Lösung. Parkplatzprobleme und andere Schwierigkeiten kommen hinzu. Ein technischer Teil der Lösung sei die Vermeidung von aufwändigen Fahrten durch die Nutzung von Videokonferenzen, wo möglich. Eine Zukunftsvision seien autonom fahrende, batteriebetriebene Autos, die sozusagen als Taxis ständig in Bewegung sind. Hier könnten neue Techniken mit einem sie begleitenden Lebensstil das Problem lösen helfen.
Hintergrund „Wasserstoff und Elektroautos“: Bei den Fragen nach anderen Lösungswegen wie zum Beispiel Wasserstoff als Treibstoff für Autos erläuterte Rehtanz, dass bei der Herstellung von Wasserstoff dreimal soviel Strom wie bei einem Elektroauto verbraucht werde. Selbstredend braucht es bei der Stromherstellung einen besseren, stärker durch alternative Energien erzeugten Strommix, damit E-Autos in Betrieb wirklich die bessere Alternative sind. Die Lithiumvorräte für E-Autos würden ausreichen, weil sog. Seltene Erden je Einheit nur wenig verbaut würden.
Kritisch sieht Rehtanz, wenn statt dieser Innovationen alte Standards mit höheren Steuern belegt werden. Bei einem so drängenden Problem müsse eine andere Lösung her: Klare Vorgaben der Politik über das Ordnungsrecht. Hier brandet im Saal der Kommende ein lauter Zwischenapplaus auf. Ist etwas politisch als entscheidend wichtig erkannt worden, dann gibt es die Gurtpflicht und ein Rauchverbot (und nicht höhere Steuern für gurtfreie Autos und Raucherkneipen). Der Weg über Steuern, um nachhaltig Wirkung zu erzielen, sei viel zu lang. Die politische Steuerung, dann auch über Steuern, müsse laut Rehtanz technische Innovationen als Lösung des Problems anreizen. Denn politische Vorgaben steuern, in welchen Bereichen sich Investitionen lohnen. Politische Vorgaben beeinflussen, wie womit Gewinn gemacht wird. Wirtschaftlich ist das nicht überraschend: Erst als die Politik FCKW verboten hat, ist der FCKW-freie Kühlschrank erfunden worden, im Erzgebirge in Sachsen übrigens. Mit der politischen Vorgabe war er der Konkurrenz überlegen, ohne Klimaschutz hat Technik, die die Ozonschicht zerstört, die Nase vorne. Solche Vorgaben würden auch Gelegenheit geben, andere Verzerrungen des Wettbewerbs zu vermeiden, etwa dass die energieintensiven Industrien von den EEG-Umlagen entlastet sind, aber der deutsche Mittelstand die vollen Kosten beim Strom bezahlt. So verrückt es klingen mag: Restriktives Vorgehen treibt Innovation und Wettbewerb an.
Hintergrund „Wohnen“: Beim Wohnen lässt sich rechnerisch gut belegen, dass ein Innovationsschub bei bestehenden Gebäuden und Neubauten im bisherigen System kaum zu bewerkstelligen ist. Bei 1 % Neubauten pro Jahr würde dies 100 Jahre dauern, schon für 2 % fehlen die dafür nötigen Handwerker. Anreize seien zu schaffen, Genehmigungen zu erleichtern, auch die Option einzuführen, Dächer für Photovoltaik zu vermieten. Photovoltaikanlagen sind nämlich in Wüsten und anderen sehr heißen Gegenden wie Chile nicht ideal aufgestellt, weil das Material wegen der enormen Hitze schnell zerbröselt. Eine mittlere Hitze wie in unseren klimatischen Verhältnissen liegt dem Material mehr.
Chancen in der Corona-Pandemie: „Wenn nicht jetzt, wann dann?“
Um die Ziele zur Energiewende zu erreichen bedarf es weiterhin einer deutlichen Steuerung der alternativen Energien. Darum plädiert Rehtanz für ein Gesamtkonzept plus lokales Handeln nach dem Motto „Wir in Dortmund, wir in Deutschland!“. „Wir in Europa!“ hätte er ergänzen können, denn beim Netzausbau plädiert er als Techniker eindeutig dafür, europäisch zu denken.
Rehtanz sieht in der notwendigen Bewältigung der Corona-Pandemie auch eine Chance für die Energiewende, nämlich „durch kluge Investitionen in Innovationen hier voran zu kommen. Staatliche Interventionen sollten die Transformation des Energiesystems zwingend befördern statt alte Technologien zu zementieren.“
Wolff pflichtet nach aktueller Rückfrage ihm bei: „Das Wiederhochfahren der Deutschen wie der Europäischen Wirtschaft in der Corona Krise muss an klare ökologische Vorgaben geknüpft werden. Wenn nicht jetzt, wann dann?“. Zum Nachdenken gab Wolff, dass Klimaschutz die Zukunftsfähigkeit unseres Planeten und damit das (Über-)Leben der Menschen in einer gesunden Umwelt sichert. Sie rät dazu, die Energiewende nicht nur als Notwendigkeit aufzufassen, sondern das „Projekt Energiewende“ als groß angelegtes Modernisierungsprojekt positiv mitzutragen mit Aufbruchsstimmung, Freude an Innovationen und mit Wachstumsimpulsen für alle Bereiche unserer Volkswirtschaft. Und für alle in der Fridays for Future-Bewegung, die ihre Anliegen praktisch umsetzen möchten, gäbe es genügend Berufsfelder in der Energiewirtschaft.
Energiewende nach Corona
Die Corona-Pandemie für mehr Klimaschutz nutzen. Diese Forderung war in den Debatten um die Wege aus der Krise oft zu hören. Noch vor der Corona-Krise hatte die Kommende Dortmund zur Zukunft der Energiepolitik eingeladen. "Blockade der Energiewende? Technische und gesellschaftspolitische Einsichten" war das Expertengespräch über Umweltpolitik überschrieben. Es kamen Dr. Marie-Luise Wolff, Präsidentin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft e.V., Berlin, und Vorstandsvorsitzende der ENTEGA AG sowie Prof. Dr. Christian Rehtanz von der TU Dortmund.
Berechtigter Stolz auf Erfolge
Schafft Deutschland seinen Beitrag zum weltweiten Projekt der Energiewende? Erfolge wie das Pariser Abkommen (2015) sind maßgeblich auf die deutsche Diplomatie zurückzuführen. Stand heute hat Deutschland seine Emissionen gegenüber 1990 um 31 % reduziert. Waren alternative Energien 1990 an der Stromproduktion in Deutschland mit einem Anteil von 3,7 % kaum bemerkbar, machen sie mittlerweile (2019) über 40 % aus. Gleichzeitig konnte Deutschland die Effizienz der deutschen Kraftwerke erheblich verbessern. Und als bislang letzten großen Schritt hat Deutschland begonnen, aus der Nutzung der besonders CO2-intensiven Energieträger Stein- und Braunkohle auszusteigen. Gute Gründe stolz zu sein.
Gerade der Ausstieg aus Stein- und Braunkohle gilt als das Vorbild für die Politik: eine Herausforderung annehmen, in der Kommission mit Vertretern aus Gewerkschaften, Unternehmen, Naturschutz- und Bürgerinitiativen mit vielen Expert*innen aller Richtungen beraten und damit erreichen, dass der Ausstieg in dieser Form mitgetragen wird.
Hintergrund „Effizienz erneuerbarer Energien“: Ein wichtiges Argument für den Übergang von konventionellen zu alternativen Energiequellen ist die erhebliche Einsparung der benötigten Energie. Das hängt mit der Energieeffizienz zusammen. Konventionelle Energieträger sind höchst ineffizient bei der Nutzung ihrer Energie für den eigentlichen Zweck etwa beim Autofahren, während Strom hier fast maximal effizient ist. Diese Effizienzgewinne machen es möglich, mit weniger Energie die selbe Lebensqualität zu erhalten. Denn je effizienter eine Energieform, desto weniger braucht insgesamt erzeugt zu werden.
Welche Branchen sind bislang geschont worden?
Doch dann fällt der Elan der Politik rapide ab. Der Ausbau alternativer Energien wird gezielt gebremst. Der Netzausbau geht zu langsam voran, so langsam, dass Investoren mangels Leitungen keine Abnehmer finden. Und eine entsprechende Infrastruktur beim Laden und bei der Bahn lässt sich deutlich zu viel Zeit. Woran liegt es, dass der Vorreiter Deutschland zurückfällt und den Spitzenplatz, auch wirtschaftlich, in diesen Bereichen abgibt? Energiepolitische Ziele zu erreichen ist immer auch eine Frage der Verteilung von Zumutungen. Die Erfolge verdanken sich auch den Zumutungen der Politik für diese Branchen, etwa der Energiewirtschaft.
Welche Branchen sind denn über Gebühr geschont worden?
Weit unter dem politisch gesetzten Soll sind die Steigerungen der Erneuerbaren Energien in den Bereichen „Energie für Wärme“ (14,2 %) und „Energie für Verkehr“ (5,7 %). Im Verkehrsbereich wurde bisher kein CO2 eingespart. Der Dieselskandal verweist eher darauf, dass gesetzliche Vorgaben nicht immer ernst genommen werden. Was durch Technik an Verbrauch eingespart worden ist, haben größer gebaute Autos und mehr Verkehr überkompensiert. Und im Bereich Wohnen sind die zukunftsweisenden Vorgaben ausgeblieben. Dabei ist Heizen, also die Gesamtoptimierung aus Dämmung, Energiegewinnung und Energieeinsatz keineswegs trivial. Ergo: Vor allem den Bereichen Verkehr sowie Bauen und Wohnen hat die Politik keine großen Herausforderungen zugemutet.
Fast schon entschuldigend wagt Wolff die Rückfrage ans Publikum: Wer fährt denn die Autos und wer bewohnt denn die Gebäude, die so viel CO2 einsparen sollen? Es sind die Bürgerinnen und Bürger, sie erlebten keinen allzu großen Eingriff in diesen Lebensbereichen. Auf solche, auch bloß vermeintliche Stimmungslagen scheint die Politik Rücksicht zu nehmen. Zuviel Rücksicht? Gibt es mehr Mut zum Wandel bei Bürgern und Bürgerinnen, als ihnen zugetraut wird? Große Demonstrationszüge der Fridays for Future-Bewegung haben den Klimaschutz in all seiner Dringlichkeit ins Bewusstsein gerückt. Eine in Klimafragen weit gehend lahm gelegte Regierungskoalition hat darüber anscheinend endlich einen lange vermissten Elan gefunden. Ohne diesen gesellschaftlichen Druck gäbe es heute vermutlich nicht mal das „weitgehend zahnlose Klimaschutzprogramm“ (Wolff).
Der gesellschaftliche Wandel hin zu einem nachhaltigen Lebens- und Wirtschaftsstil in allen Bereichen lebt (und stirbt) folglich mit technischen Errungenschaften und politischen Vorgaben, die gesellschaftlich mitgetragen werden.
Welche Maßnahmen sind denn nun angemessen?
„Ist mein Beitrag relevant?“, so fragte eine Teilnehmerin beim Kommende-Forum mit großem Ernst. „Hilft es, was ich beim Einkauf auswähle, wenn ich mehr Fahrrad fahre usw.?“ Rehtanz sagt deutlich, diesen Einsatz brauche es dringend, aber er reiche eben nicht. Zumal sei er beim Verhalten aller pessimistisch: Ein heißer Sommer kann der Klimabewegung Zulauf bringen, aber auch den Kauf von Klimaanlagen anheizen. Wolff sprang der Teilnehmerin bei: „Es ist doch eher so, dass die Lösung gesamtgesellschaftlicher Probleme nach wie vor eine politische Aufgabe ist – und nicht einfach durch ‚Gewissensentscheidungen‘ jedes einzelnen verwirklicht werden sollte.“
Die neuerliche Blockade der Energiewende geht verblüffenderweise einher mit einer klaren Festlegung auf ein höheres Ausbauziel für Erneuerbare Energien - so eindeutig der Koalitionsvertrag, so geduldig das Papier. Was fehlt, ist die politische Kraft, die Rahmenbedingungen für Projekte bei den Erneuerbaren Energien zu schaffen. Photovoltaik und Windenergie sind nämlich durch kontraproduktive politische Vorgaben abgewürgt worden. Wolff zieht Bilanz: „Es drängt sich der Eindruck auf, dass weite Teile der Politik nicht mehr willens oder fähig sind, aus Grundsatzentscheidungen konkrete Handlungsnotwendigkeiten abzuleiten.“
Ein Grund für Zögerlichkeit und Ängstlichkeit in der Politik sind Proteste und Widerstände vor Ort. Wie bei der Bewegung „Fridays for Future“, nur mit einem anderen Ziel. Es formt sich Widerstand, der oft das Bekenntnis zur Energiewende wohlwollend teilt, aber zum konkreten Projekt in der Nachbarschaft „Nein“ sagt – die sog. „Nicht-in-meinem-Garten-Mentalität“. Folgt man dieser Haltung würde nirgendwo etwas erneuert.
Wie könnte der Verkehr zukunftsweisend nachhaltig aufgestellt werden? Früher war das Auto als technische Erneuerung die Lösung, um den vielen Pferdemist auf den Straßen um 1900 zu verhindern. Heute sind konventionelle Verbrenner Teil des Problems. Doch ungezählte Autoflotten sind auch bei batteriebetriebenen Modellen nicht die große Lösung. Parkplatzprobleme und andere Schwierigkeiten kommen hinzu. Ein technischer Teil der Lösung sei die Vermeidung von aufwändigen Fahrten durch die Nutzung von Videokonferenzen, wo möglich. Eine Zukunftsvision seien autonom fahrende, batteriebetriebene Autos, die sozusagen als Taxis ständig in Bewegung sind. Hier könnten neue Techniken mit einem sie begleitenden Lebensstil das Problem lösen helfen.
Hintergrund „Wasserstoff und Elektroautos“: Bei den Fragen nach anderen Lösungswegen wie zum Beispiel Wasserstoff als Treibstoff für Autos erläuterte Rehtanz, dass bei der Herstellung von Wasserstoff dreimal soviel Strom wie bei einem Elektroauto verbraucht werde. Selbstredend braucht es bei der Stromherstellung einen besseren, stärker durch alternative Energien erzeugten Strommix, damit E-Autos in Betrieb wirklich die bessere Alternative sind. Die Lithiumvorräte für E-Autos würden ausreichen, weil sog. Seltene Erden je Einheit nur wenig verbaut würden.
Kritisch sieht Rehtanz, wenn statt dieser Innovationen alte Standards mit höheren Steuern belegt werden. Bei einem so drängenden Problem müsse eine andere Lösung her: Klare Vorgaben der Politik über das Ordnungsrecht. Hier brandet im Saal der Kommende ein lauter Zwischenapplaus auf. Ist etwas politisch als entscheidend wichtig erkannt worden, dann gibt es die Gurtpflicht und ein Rauchverbot (und nicht höhere Steuern für gurtfreie Autos und Raucherkneipen). Der Weg über Steuern, um nachhaltig Wirkung zu erzielen, sei viel zu lang. Die politische Steuerung, dann auch über Steuern, müsse laut Rehtanz technische Innovationen als Lösung des Problems anreizen. Denn politische Vorgaben steuern, in welchen Bereichen sich Investitionen lohnen. Politische Vorgaben beeinflussen, wie womit Gewinn gemacht wird. Wirtschaftlich ist das nicht überraschend: Erst als die Politik FCKW verboten hat, ist der FCKW-freie Kühlschrank erfunden worden, im Erzgebirge in Sachsen übrigens. Mit der politischen Vorgabe war er der Konkurrenz überlegen, ohne Klimaschutz hat Technik, die die Ozonschicht zerstört, die Nase vorne. Solche Vorgaben würden auch Gelegenheit geben, andere Verzerrungen des Wettbewerbs zu vermeiden, etwa dass die energieintensiven Industrien von den EEG-Umlagen entlastet sind, aber der deutsche Mittelstand die vollen Kosten beim Strom bezahlt. So verrückt es klingen mag: Restriktives Vorgehen treibt Innovation und Wettbewerb an.
Hintergrund „Wohnen“: Beim Wohnen lässt sich rechnerisch gut belegen, dass ein Innovationsschub bei bestehenden Gebäuden und Neubauten im bisherigen System kaum zu bewerkstelligen ist. Bei 1 % Neubauten pro Jahr würde dies 100 Jahre dauern, schon für 2 % fehlen die dafür nötigen Handwerker. Anreize seien zu schaffen, Genehmigungen zu erleichtern, auch die Option einzuführen, Dächer für Photovoltaik zu vermieten. Photovoltaikanlagen sind nämlich in Wüsten und anderen sehr heißen Gegenden wie Chile nicht ideal aufgestellt, weil das Material wegen der enormen Hitze schnell zerbröselt. Eine mittlere Hitze wie in unseren klimatischen Verhältnissen liegt dem Material mehr.
Chancen in der Corona-Pandemie: „Wenn nicht jetzt, wann dann?“
Um die Ziele zur Energiewende zu erreichen bedarf es weiterhin einer deutlichen Steuerung der alternativen Energien. Darum plädiert Rehtanz für ein Gesamtkonzept plus lokales Handeln nach dem Motto „Wir in Dortmund, wir in Deutschland!“. „Wir in Europa!“ hätte er ergänzen können, denn beim Netzausbau plädiert er als Techniker eindeutig dafür, europäisch zu denken.
Rehtanz sieht in der notwendigen Bewältigung der Corona-Pandemie auch eine Chance für die Energiewende, nämlich „durch kluge Investitionen in Innovationen hier voran zu kommen. Staatliche Interventionen sollten die Transformation des Energiesystems zwingend befördern statt alte Technologien zu zementieren.“
Wolff pflichtet nach aktueller Rückfrage ihm bei: „Das Wiederhochfahren der Deutschen wie der Europäischen Wirtschaft in der Corona Krise muss an klare ökologische Vorgaben geknüpft werden. Wenn nicht jetzt, wann dann?“. Zum Nachdenken gab Wolff, dass Klimaschutz die Zukunftsfähigkeit unseres Planeten und damit das (Über-)Leben der Menschen in einer gesunden Umwelt sichert. Sie rät dazu, die Energiewende nicht nur als Notwendigkeit aufzufassen, sondern das „Projekt Energiewende“ als groß angelegtes Modernisierungsprojekt positiv mitzutragen mit Aufbruchsstimmung, Freude an Innovationen und mit Wachstumsimpulsen für alle Bereiche unserer Volkswirtschaft. Und für alle in der Fridays for Future-Bewegung, die ihre Anliegen praktisch umsetzen möchten, gäbe es genügend Berufsfelder in der Energiewirtschaft.
Dr. Andreas Fisch, Moderator und Leiter des Fachbereichs “Wirtschaftsethik“, sprach noch ein besonderes Lob für Referent und Referentin aus. So viele kritische und ernsthafte, interessierte und ergänzende Nachfragen hätte er schon lange nicht mehr erlebt. Das läge auch daran, dass kurze prägnante Antworten von der Kompetenz beider zeugten und das Vertrauen des Publikums gewonnen worden sei, kluge und ehrliche Antworten zu bekommen. Denn Fragen stellen, dass könnten die Zuschauer bei „Anne Will“ nun einmal nicht. Der Applaus des Publikums bekräftigte diese Einschätzung.
Dr. Andreas Fisch, Moderator und Leiter des Fachbereichs “Wirtschaftsethik“, sprach noch ein besonderes Lob für Referent und Referentin aus. So viele kritische und ernsthafte, interessierte und ergänzende Nachfragen hätte er schon lange nicht mehr erlebt. Das läge auch daran, dass kurze prägnante Antworten von der Kompetenz beider zeugten und das Vertrauen des Publikums gewonnen worden sei, kluge und ehrliche Antworten zu bekommen. Denn Fragen stellen, dass könnten die Zuschauer bei „Anne Will“ nun einmal nicht. Der Applaus des Publikums bekräftigte diese Einschätzung.