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The Conference House
Deutschland, Land der Dichter und Denker. Auch wenn es manchen Vor-Denkern heutzutage schwerfallen mag, ihre Wahrnehmung der Wirklichkeit formschön zu verdichten, ins Wort und auf den Punkt zu bringen: gedacht wird in unserem Land vermutlich sogar mehr denn je. Aber „mehr Denken“ führt in diesen Zeiten kollektiver Anspannung und Bedrohung nicht unbedingt zu mehr gemeinsamen Überzeugungen. Stattdessen laufen die vielfältig (gefragt und ungefragt) mitgeteilten Denkanstöße weithin ins Leere, und man wundert sich, warum so viele klugen Ideen und Gedanken nicht zu mehr Gemeinsinn führen, sondern im Gegenteil zu mehr Eigensinn verleiten, was je nach Temperament in Resignation ausartet („auf mich hört ja keiner“), zu vernichtenden Urteilen über das „Totalversagen“ führt oder in Klage- oder Wutgeheul über die „katastrophale“ oder „desaströse Lage“ ausbricht. Gleich, ob man sich als Opfer schlechten Regierungshandelns, unfähigen Verteilungsmanagements, medialer Verunsicherung etc. sieht: der Opferstatus verleiht subjektiv das Gefühl moralischer Überlegenheit. Fragt sich nur, wem damit gedient ist, wenn durch permanent anklagenden Ton moralischer Superiorität das gesellschaftliche Klima vergiftet wird. Zu größerer gemeinsamer Kraftanstrengung und entschiedenem Handeln führt es offensichtlich nicht. Doch je mehr man von der eigenen Meinung überzeugt ist, sich aber unverstanden oder gar nicht erst ernst genommen fühlt, desto größer ist das Gefühl der persönlichen Kränkung, des Missmuts und der Verbitterung. Und im Zustand der Erregung denkt sich leider auch schlechter, und es fehlt die nötige Distanz, um die Aspekte unterschiedlicher Wahrnehmung zu einem Gesamtbild zu verdichten.
Mein Vorschlag: In Momenten emotionaler Anspannung möge man sich der Regeln des „aktiven Zuhörens“ erinnern (Carl Rogers). Bevor also spontan – ob in Talkshows oder Interviews – die Gedanken und das Denken anderer in Bausch und Bogen abgeurteilt wird, wäre es den Versuch wert, durch Nachfragen, Wiederholen und Zusammenfassen zu klären, ob man den anderen richtig verstanden hat. Das ist nicht eine Frage der Gesprächstechnik, sondern der Haltung, geprägt von Echtheit und Ehrlichkeit, Interesse, Anteilnahme, Wertschätzung, Akzeptanz. So könnte die Dicht- und Denkkunst in unserem Land in der Tat zu neuer Blüte finden, auch unter politisch Handelnden und ihren Kritikern.
Und bei alledem: Wir werden mit Ungerechtigkeiten und Unvollkommenheiten leben müssen. Auch damit, die besseren Argumente zu haben und trotzdem nicht gehört zu werden. Mir hilft dann immer noch jene Regel aus dem Schatz spiritueller Weisheiten: „Freut euch in der Hoffnung, seid geduldig in der Bedrängnis, beharrlich im Gebet!“ (Röm 12,12)
Im Standpunkt reflektiert Peter Klasvogt, wie wir in diesen Tagen wieder zu mehr gemeinsamen Überzeugungen und mehr gesellschaftlichem Zusammenhalt kommen können. Um dem permanent anklagenden Ton der moralischen Überlegenheit zu entkommen, der das gesellschaftliche Klima vergiftet, schlägt er daher eine neue Haltung vor: aktives Zuhören.