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The Conference House
Eine weltweit agierende Elite, die untereinander vernetzt den Globus regiert, existiert trotz aller gegenteiligen Aussagen nicht – so der Soziologe Michael Hartmann gleich zu Beginn des Querdenkerabends mit Kommende-Dozent Richard Geisen hervor. Der Umkehrschluss, dass es grundsätzlich keine Eliten an den Schaltstellen der (Wirtschafts-)Macht gibt, ist nach Darstellung des Wissenschaftlers von der Darmstädter Uni ebenso falsch. Der bekannte Elite-Forscher sprach in der Kommende vor weit über 100 Gästen zum Thema „Soziale Ungleichheit und die –Rolle der Eliten“.
Aufgrund seiner jahrelangen Forschungen kann Hartmann nachweisen, dass Eliten meist an ihre Heimatländer gebunden bleiben. Die Spitzenmanager großer Konzerne und die Eigentümer riesiger Vermögen sind zwar häufig international unterwegs, erläuterte Hartmann, aber letztlich fühlten sie sich dem Land zugehörig, in dem sie auch den überwiegenden Teil ihrer Zeit leben, in dem die Keimzelle und die Zentrale ihres Unternehmens beheimatet ist.
Die Eliten der jeweiligen Länder verstehen es nach Aussage von Hartmann meist sehr gut, sich nach außen abzuschotten. Aufsteiger haben demnach nur in Ausnahmefällen eine Chance. Die Techniken der Abgrenzung seien durchaus subtil, eine excellente Bildung und Ausbildung genügten keineswegs, um in die in sich geschlossenen Kreise der oberen Zehntausend einzudringen. Schon am Habitus (Sprache, Auftreten, Umgangsformen) sei die gesellschaftliche Herkunft leicht erkennbar; sie werde zum unausgesprochenen Kriterium für Ausschluss und Aufnahme. Selbstverständlich seien bei den herausgehobenen Positionen tadellose Berufs- bzw. Studienabschlüsse vorausgesetzt; doch die könnten zahlreiche potentielle Aufsteiger ebenfalls vorweisen. Entscheidend sei dann doch der „passende“ familiäre Hintergrund in der Reichtums- und Machtelite. Als Beispiele für die seltenen Ausnahmen nannte der Referent Hartman Martin Winterkorn, Ex-VW-Manager, und Heinrich Hiesinger, Chef von ThyssenKrupp. Der erste stammt aus einer Arbeiter-, der zweite aus einer Bauernfamilie. Solche Führungskräfte bekommen meist in Umbruch- oder Krisensituationen eine Chance, erklärte der Soziologe.
Reichtum, so Hartmann, ist in Deutschland meist über Generationen an bestimmte Familien gebunden, wie es unter anderem die Beispiele Quandt oder Piech/Porsche belegen. Sie sind durch ihre Unternehmen zu vielfachen Milliardären geworden. Insgesamt gebe es zurzeit allein in Deutschland 187 Milliardäre. Die Zahl habe sich seit 2001 verdoppelt. Ebenfalls verdoppelt habe sich in den vergangenen Jahren die Anzahl der Obdachlosen (März 2017: 400.000). Von den Superreichen zu unterscheiden seien die vielen wohlhabenden und besonders gut verdienenden Menschen im Lande: Als Richter an den Obergerichten oder Leiter von Forschungsgesellschaften (z.B.) könnten sie ein beachtliches Einkommen erzielen. Der Verdienst von Politikern, unterstrich Hartmann, falle meist erheblich niedriger aus, als von einem Großteil der Allgemeinheit geschätzt. Wenn eine Bundeskanzlerin 250.000 Euro jährlich bekomme, sei dies das Niveau, das auch der Chef einer mittelgroßen Sparkasse erreiche.
Der Trend zu den exorbitant hohen Managervergütungen in der freien Wirtschaft begann nach Aussage Hartmanns in Deutschland erst mit der Fusion von Daimler/Chrysler. Der damalige Daimler-Boss Schrempp habe seinerzeit gefordert, dass auch er Anrecht auf ein ähnliches Spitzensalär habe, wie es für den Vorstandsvorsitzenden bei Chrysler längst üblich war. Wenn heute nun immer wieder argumentiert werde, deutsche Firmen müssten ihren Managern schon deshalb Spitzengehälter bieten, weil sie sonst in andere Länder abwandern würden, sei das allerdings ein sehr fragwürdiges Argument. Dagegen spricht die obengenannte persönliche Bindung an das eigene Herkunftsland und die Schwierigkeit, im Ausland auf Anhieb einen entsprechenden Job zu finden. Hartmann dazu: „Von den 4.000 börsennotierten Unternehmen in den USA werden gerade mal sechs von Deutschen geführt.“
Die Abschottungs- und Selbstbedienungsmentalität der Eliten hat laut Hartmann dramatische Auswirkungen auf die Entwicklung der sozialen Ungleichheit in Deutschland: Das Vermögen befinde sich heute mit einem Anteil von 60 Prozent in der Hand von zehn Prozent der Bevölkerung. Während ein Haushalt in Deutschland im Durchschnitt laut Bundesbank rund 200.000 Euro zu Verfügung hat, liegt der Median bei rund 60.000 Euro. Die erstaunliche Höhe der ersten Zahl kommt durch den durchschlagenden Einbezug der Milliardenvermögen in eine einfache Durchschnittsberechnung zustande. Die zweite Zahl macht eher deutlich, wie hoch ein mittleres Vermögen in Deutschland heute sein kann.
Um die hinter beiden Zahlen verborgene Ungleichheit zu verringern wären steuerliche Maßnahmen zur Umverteilung dringend erforderlich. Hartmann nennt an erster Stelle die Erbschaftssteuer; aufgrund der unterbliebenen Reform bleibe die geschlossene Reichtumselite unangetastet und die Vermögen der wenigen hätten weiterhin unvorstellbare Zuwächse zu verzeichnen. Eine Veränderung sei jedenfalls nur durch direkte Steuern möglich, alle indirekten Steuern von der sogenannten Mehrwertsteuer bis zur Tabaksteuer gingen dagegen weit überproportional zu Lasten der unteren Einkommen. Erschreckend auch die absoluten Zahlen: Die Tabaksteuer, die – gemessenen am Einkommen – die „kleinen Leute“ überproportional belastet, erbringt dem Fiskus immer noch mehr als dreimal so hohe Einnahmen wie die gesamte Erbschaftssteuer.
Am Ende des Abends blieb die Frage, wer denn Hauptakteur der dringend erforderlichen politischen Veränderung zur Umverteilung sein könne. Wer kann den entscheidenden Anstoß für eine Wende geben? Hartmann sieht hier unter anderem die Gewerkschaften gefordert. Es gebe durchaus ein entsprechendes Potenzial. Der Veränderungswille müsse politisch artikuliert und kanalisiert werden; als hoffnungsvolles Vorbild nannte Hartman Großbritannien: Um Jeremy Corbyn wachse zurzeit eine mehrheitsfähige Widerstandsbewegung gegen den politischen und wirtschaftlichen Egoismus der machthabenden Eliten.
Theo Körner, Dortmund