26.05.2022

Familienleistungen endlich berücksichtigen: Zur Entscheidung des Verfassungsgerichts

Auffällig ist demjenigen, der Bundesverfassungsurteile zur Familie beobachtet, dass viele familienpolitische Leistungen dort erst erstritten werden müssen. Wahrscheinlich würde ein Wahlrecht für die jüngeren Familienmitglieder die politischen Parteien bewegen, diese Anliegen frühzeitig selber anzupacken.(0) Denn Familienarbeit ist gesellschaftlich wertvoll, weil eine nachwachsende und ausgebildete Generation für das gesamte System der Sozialen Sicherung unverzichtbar bleibt. Kinder bedeuten für Alleinerziehende und Eltern höhere Kosten und berufliche Einschränkungen ganz erheblicher Art. Um Eltern zu entlasten bietet sich die Pflegeversicherung an, schon weil die Pflege zu Hause durch die eigenen Kinder erheblich kostengünstiger ist als die stationäre Pflege. Der relative Anteil, den Kinderlose zusätzlich beitragen, ist seit seiner – vom Bundesverfassungsgericht geforderten – Einführung  mit jeder allgemeinen Erhöhung gesunken. Und er reichte schon bei seiner Einführung nicht aus, um einen echten Ausgleich zu schaffen. Ganz richtig hat das Bundesverfassungsgericht jetzt diesen Missstand benannt und angemahnt, Familien zu entlasten und zwar nach der Anzahl der Kinder differenziert. Wie dies umgesetzt wird überlässt das Bundesverfassungsgericht der Politik.

Ein allgemein höherer Beitrag mit einem spürbarem Nachlass je betreutem minderjährigen Kind wäre stimmiger für die Pflegeversicherung als Zuschläge für Kinderlose.(1) Problematisch bleibt die Anbindung an den Steuerbeitrag. Das andere Mittel der Zuschüsse erreicht Familien unabhängig vom Einkommen und gleichhohe Zuschüsse haben für ärmere Familien einen höheren Wert und Nutzen. Dagegen sind Steuererleichterungen für Familien mit hohen und höchsten Haushaltseinkommen absolut höher (und damit teuerer), obwohl diesem Geld kein gleichwertiger Nutzen für die Familie entspricht. Diskutiert werden muss daher, ob nicht eine existenzsichernde Kindergrundsicherung viele Ausgleichsbemühungen überflüssig machen und zugleich das Armutsrisiko senken würde.

Die Einschätzung des jetzigen Bundesverfassungsgerichtsurteils, dass der Ausgleich bei der Rentenversicherung durch die Anerkennung der Erziehungsjahre ausreichend sei, müsste dringend in breiter öffentlicher und gut informierter Erörterung überprüft werden.(2) Deshalb haben Familienverbände hiergegen Widerspruch eingelegt.

Andreas Fisch

(0) https://www.kommende-dortmund.de/standpunkt/demokratie-ernst-nehmen-jet…

(1) https://www.kommende-dortmund.de/standpunkt/wie-hoehere-loehne-fuer-pflegekraefte-fair-finanzieren

(2) Vgl. u.a. dazu das Heft 1/2023 der Zeitschrift „AMOSinternational. Gesellschaft gerecht gestalten“ mit dem Themenschwerpunkt “Stellschrauben gegen soziale Ungerechtigkeit“ (in Vorbereitung): https://www.amosinternational.de/