03.03.2022

Ninive: Umkehr oder Untergang

Mitten in das breite Entsetzen über den Krieg in der Ukraine und in die Verzweiflung über den absurden Wahnsinn des russischen Präsidenten hinein veröffentlicht der Weltklimarat den zweiten Teil seines sechsten Sachstandsberichts. Die Zeit, die Klimaerwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, läuft schneller ab als bisher angenommen. Das Zeitfenster, rechtzeitig und radikal aus den fossilen Energien auszusteigen, schließt sich. Die Beschreibungen der kaum noch abwendbaren Folgen einer Erderwärmung über 1,5 Grad im Bericht des Klimarates sind apokalyptisch. Inzwischen seien mehr als 3,3 Milliarden Menschen vom Klimawandel betroffen.

Aktuell ist der Ausstieg aus den fossilen Energien nicht nur aus ökologischen Gründen geboten. Kommentare zum Bericht des Weltklimarates bringen ihn in Verbindung mit dem Krieg in der Ukraine. Auch sicherheitspolitisch müsse die Abhängigkeit von den fossilen Rohstoffen schnell beendet werden. Faktisch ist aber eine schnelle Umkehr nirgends in Sicht. Die CO2-Emissionen weltweit steigen weiter. Als erstes Land haben die USA Anfang dieses Jahres ihr Restbudget an Treibhausgas-Emissionen zur Einhaltung des 1,5 Grad Ziels aufgebraucht. Für Deutschland ist nach derzeitigem Stand im Jahr 2027 das Budget verbraucht. Gegenwärtig diskutierte Zieljahre der angestrebten Klimaneutralität gehen weit über diesen Zeitraum hinaus. Nüchtern betrachtet gibt es wenig Hoffnung für die Rettung des bestehenden Ökosystems der Erde – des für uns Menschen bislang doch sehr „vorteilhaften Gleichgewicht des ganzen Planeten“ (Christian Stöcker).

Ist Umkehr möglich? Die Bibel erzählt die Geschichte von Ninive, einer dem Untergang geweihten Stadt. Die Menschen, auch die Politik, glauben den Prophezeiungen des Jona. Sie kehren alle (!) um, ziehen Bußgewänder an, fasten. Die Stadt ist gerettet. Der Prophet mit seinem Untergangszenario blamiert. Als Beispiel für heute taugt diese alte biblische Erzählung aber wohl nicht, wo man das Wort „Verzicht“ oder gar „Opfer“ aus Gründen politischer Akzeptanz doch bitte nicht verwenden soll. Anders als etwa Papst Franziskus, der gemeinsam mit anderen Religionsführern ganz undiplomatisch für die dringliche ökologische Umkehr Verzicht und Opfer zum Wohle von Mensch und Natur für unumgänglich hält.

Für den 25. März 2022 hat FRIDAYS FOR FUTURE zum nächsten Klimastreik aufgerufen – für die Einhaltung des 1,5-Grad-Grenze und für globale Klimagerechtigkeit, ganz im Einklang mit dem Sachstandsbericht des Klimarats. Engagierte, kluge junge Menschen weltweit, die über den Tellerrand ihres Egos hinausschauen, gehen für das globale Gemeinwohl und den Frieden mit der Natur auf die Straße: Propheten der Abkehr von fossilen Lebensstilen. Die Fastenzeit beginnt. 7 Wochen Luftholen für das Klima. Training für gutes, schöpfungsfreundliches Leben. Noch ist es nicht zu spät, so der Weltklimarat.

Detlef Herbers