21.04.2022

Wehrhafte europäische Demokratie

Es gab eine Zeit, da wurde unsere Sicherheit am Hindukusch verteidigt. So jedenfalls rechtfertigte der damalige Verteidigungsminister Peter Struck den deutschen Afghanistan-Einsatz (4.12.2002). All das ist schon lang her und war weit weg, sofern man nicht selbst unmittelbar davon betroffen war. Eine Friedensmission, die im letzten Jahr überstürzt abgebrochen und im Letzten gescheitert ist; ein Thema weithin nur noch für Entwicklungspolitiker, Asienexperten und Militärhistoriker.

Doch was wird man später einmal über den europäischen, speziell den deutschen Beitrag zur Friedenssicherung in Osteuropa sagen? In der Ukraine entscheidet sich in diesen Monaten das Schicksal Europas. Da wird man einmal darüber Rechenschaft ablegen müssen, was uns die Verteidigung zivilisatorischer Werte wert gewesen ist. Ob wir uns mit vereinten Kräften für die Freiheit und die territoriale Integrität Europas - nicht am Hindukusch, sondern im Donbass - eingesetzt haben; ob wir den von einem Unrechtsregime aufgedrängten Kampf für das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, auf Selbstbestimmung und Rechtsstaatlichkeit ernsthaft und mit letzter Konsequenz geführt haben. All das sind ja fundamentale Werte, auf die Europa einmal unter dem Eindruck der Schreckensherrschaft der Nazis und ihrem „totalen Krieg“ gegründet worden ist. Das Wort von der „wehrhaften Demokratie“ mag einem leicht über die Lippen kommen, wenn es nichts kostet, und es muss sich zeigen, ob den wohlfeilen Treueschwüren Taten folgen, wenn ein Land wie von einem übermächtigen Nachbarn überfallen und in Schutt und Asche gelegt wird.  Und es zeigen sich nicht nur in Frankreich Absetzungstendenzen, wenn etwa Marine Le Pen, die französische Präsidentschaftskandidatin, angekündigt hat, im Falle eines Wahlsiegs die Verteidigungskooperation mit Deutschland beenden zu wollen.

Nach allgemeinem und insbesondere christlichem Verständnis kann man nicht nur Schuld auf sich laden, wenn man „Böses getan“, sondern auch, wenn man „Gutes unterlassen“ hat. Der Grat ist schmal, besonders in Dilemma-Situationen. Aber die Verantwortung ist groß. Die Geschichte wird später einmal ein Urteil darüber fällen.

Dr. Peter Klasvogt