12.03.2021

Wege zu einer besseren Bezahlung von Pflegekräften

Wem sollen welche Bürden zugemutet werden? An dieser Frage krankt die Pflege in Deutschland seit Langem. Werden Löhne der Pflegekräfte angemessen erhöht, so sind die Kosten entweder den öffentlichen Haushalten oder den Patient*innen und ihren Angehörigen in Rechnung zu stellen. Ein anderer Weg wäre, in der häuslichen Pflege irreguläre, ausländische Arbeitskräfte sehenden Auges zuzulassen, die Strafbarkeit hier nicht einzuführen und die Kontrolldichte zu verringern. Die vermeintlich bessere humane Pflege daheim bezahlen ausländische Pflegekräfte schon heute mit oft untragbaren Arbeits- und Lebensumständen. Wieder ein anderer Weg hält die Löhne von Pflegekräften gering, um die öffentlichen Haushalte und damit letztlich die Steuerbeitragenden zu schonen. Die Pandemie zeigt zumindest eine grundsätzliche Wertschätzung der Arbeit von Pflegekräften. Wer könnte nun Treiber von höheren Löhnen in der Altenpflege sein?

  • Ver.di und BVAP: Die in ver.di und BVAP vertretenen Arbeitgeber (u.a. der AWO) repräsentieren zusammen (wahrscheinlich) 10 % der Pflegekräfte in Deutschland (von über 1,2 Millionen). Sie könnten den von Ihnen beschlossenen Tarifvertrag für ihre wenigen Betriebe umsetzen. Das werden sie jedoch nur tun, wenn ihr Vertrag für alle verbindlich erklärt wird, auch die gewinnorientierten Betreiber von Pflegeeinrichtungen erfasst. Voraussetzung dafür ist, dass die kirchlichen Wohlfahrtsverbände Caritas und Diakonie zustimmen. Die Arbeitsrechtliche Kommission (AK) der Caritas hat den Vertrag jedoch abgelehnt, u.a. weil der Tarifvertrag unter ihrem Lohnniveau liegt, und die Konsequenzen für die Behindertenhilfe, Krankenhäuser usw. nicht bedenkt, die in der AK in einem aufeinander abgestimmten Vertrag geregelt sind. Um Caritas und Diakonie die Zustimmung zu erleichtern, könnten ver.di und BVAP deren Bedenken aufgreifen - kein ungewöhnliches Verfahren bei Tarifverhandlungen! Derzeit realisieren die Vertragsparteien jedoch den Weg der öffentlichen Skandalisierung.
  • Caritas und Diakonie: Die Arbeitsrechtliche Kommission der Caritas – repräsentiert ca. 13 % der Pflegekräfte - könnte diesem Vertrag immer noch zustimmen. Sie müssten vor allem Anpassungen bei den Pflege-Hilfskräften (und denen in den anderen sozialen Einrichtungen) vornehmen. Diese Anpassungen sind jedoch umstritten. Sollte die AK der Caritas zustimmen, hinge es an der Zustimmung der Diakonie (ebenfalls ca. 13 %). Die privaten Verbände haben Klagen angekündigt. Erst wenn diese von Gerichten abschlägig entschieden werden, wird die Allgemeinverbindlichkeit realisiert.
  • Kostenträger und Gesetzgeber: Langfristig sorgt sich die AK um die Refinanzierung ihrer höheren Löhne. Damit rücken die Kostenträger als relevante Akteure in den Fokus. Die Kostenträger könnten die Refinanzierung an die Existenz gültiger Tarifverträge knüpfen und damit Druck auf die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite ausüben, sich allgemeinen Tarifverhandlungen nicht länger zu entziehen. Selbstredend hat die Regierung die Macht, per Gesetz einen Tarifvertrag zur Voraussetzung machen, wenn aus der Pflegeversicherung refinanziert werden soll. Stehen jedoch mehrere Tarifverträge nebeneinander, dann besteht die Gefahr, dass die Einrichtungen mit dem größten Reformbedarf „Gefälligkeitstarifverträge mit Pseudogewerkschaften“ abschließen.
  • Pflege-Mindestlohnkommission: Der eigentliche Ort für solche Verhandlungen ist die Pflege-Mindestlohnkommission, wo alle Repräsentanten der 1,2 Mio. Pflegekräfte miteinander verhandeln. Dort könnten sie verbindliche höhere Mindestlöhne beschließen. Die Verhandlungen sind jedoch seit Jahren zäh.

Genau spiegelverkehrt zur Sorge der AK lässt sich befürchten, dass fortbestehende Dumping-Löhne langfristig die Refinanzierung der höheren Löhne bei der Caritas gefährden. Ver.di/BVAP und Caritas/Diakonie täten als sozial orientierte Akteure gut daran, einen zustimmungsfähigen Tarifvertrag zu entwerfen, der dann allgemeinverbindlich auch die anderen der Branche zu anständigen Löhnen verpflichtet. Dafür braucht es Schritte beider Seiten aufeinander zu. Ein allgemeinverbindlicher Tarifvertrag für die Pflegebranche ließe hoffen, dass sich der Wettbewerb um die bessere Qualität der Pflegeleistungen und nicht um die weitere Prekarisierung der Lebens- und Einkommensverhältnisse der „Helden der Corona-Krise“ entwickelt - und die gesellschaftliche Wertschätzung der Pflegenden während der Pandemie würde greifbar.

Andreas Fisch