06.11.2020

God bless America

Trotz eindeutiger Prognosen schien es Donald Trump am Mittwochmorgen wieder geschafft zu haben, seinen Kontrahenten auf den letzten Metern abzufangen und das Rennen um die Präsidentschaft auf der Zielgrade zu gewinnen. Im Laufe des Tages holte Joe Biden jedoch (v. a. durch die Briefwahlstimmen) immer mehr auf, so dass Trump die weitere Auszählung untersagen wollte. Ein beispielloser Angriff auf den Kern der Demokratie und ein Vorgeschmack, dass Trump eine Niederlage wahrscheinlich nicht akzeptieren wird – was eine wesentliche Grundvoraussetzung funktionierender Demokratien ist. Das endgültige Ergebnis wird wahrscheinlich erst durch den Supreme Court festgestellt.

Doch auch wenn Biden die Wahl gewinnt, haben die vergangenen Tage und Wochen gezeigt, wo die eigentliche Herausforderung des neuen Präsidenten besteht. Die amerikanische Bevölkerung ist tief gespalten. Der Ursprung dieser Spaltung zwischen Demokraten und Republikaner liegt schon weit vor Trumps Amtszeit, dennoch hat er diese enorm verstärkt. Die Harvard-Politologen Steven Levitsky und Daniel Ziblatt haben in ihrem Buch „How Democracies Die“ analysiert, dass Trump in den vergangen vier Jahren viele Regeln und Gepflogenheiten der politischen Kultur gebrochen hat (Diffamierung der Medien als „fake news“, Nutzung von „alternative facts“, um nur zwei Beispiele zu nennen).

„Eine Demokratie lebt vom Kompromiss“, so stellte der Bundekanzler a. D. Helmut Schmidt einmal treffend fest. Für diesen Kompromiss braucht es jedoch ein ehrliches Ringen, um die besten politischen Lösungen und die Anerkennung meines politischen Kontrahenten als Gegner und nicht als Feind. Nur mit einem Gegner können Kompromisse eingegangen und gemeinsame Lösungen gesucht werden, ein Feind soll vernichtet werden. Die Herausforderung für Biden wird es sein, nicht der Verführung zu erliegen, mit der gesellschaftlichen Spaltung weiter Politik zu machen, sondern einen Weg der Versöhnung zwischen Demokraten und Republikanern einzuschlagen, um die Spaltung zu verringern und der amerikanischen Bevölkerung wieder einen gemeinsamen „American dream“ zu geben. Dafür kann man ihm nur wünschen: God bless america.

Robert Kläsener