22.08.2022

Opfern rassistischer Gewalt Gehör verschaffen - zum 30-jährigen Gedenken an Rostock-Lichtenhagen

Vom 22. bis 25. August 1992 wurde das Sonnenblumenhaus in Rostock-Lichtenhagen belagert, in dem die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber des Landes Mecklenburg-Vorpommern und ein Wohnheim für ausländische Vertragsarbeiter*innen untergebracht waren. Von „einem wütenden rechten Mob“ ist in diesem Zusammenhang immer wieder zu lesen, der damals für die Ausschreitungen in Rostock verantwortlich gemacht wurde. Doch diese Zuschreibung verdeckt, dass die ca. 2.000 Neonazis von damals ihren Pogrom unter dem Applaus der Bevölkerung betrieben und von einer vollkommen überforderten und weitgehend tatenlosen Polizei ebenfalls keinen Widerstand zu erwarten hatten. Am Abend des 24. August 1992 eskalierte die Situation dann völlig, als Brandsätze das Sonnenblumenhaus in Brand setzten und die Feuerwehr stundenlang nicht durchgelassen wurde, um den Brand zu löschen.

Das Sonnenblumenhaus in Rostock-Lichtenhagen steht zusammen mit Mölln und Solingen bis heute stellvertretend für den Höhepunkt rassistischer Gewaltexzesse der frühen neunziger Jahre – die so genannten Baseballschlägerjahre. Doch auch, wenn rechtsextreme Gewalttaten bis zur Aufdeckung der NSU-Morde in der öffentlichen Wahrnehmung jahrelang kaum eine Rolle spielten, zeigen der Mord an Walter Lübcke sowie die Anschläge in Halle oder Hanau, welche Gefahr auch heute noch von rechtsradikaler Gewalt ausgeht. Gleichzeitig ist Rostock-Lichtenhagen auch ein Synonym für das Versagen politischer Institutionen und der Medien, die die Asyldebatte für eine Verschärfung des Asylrechts, den sogenannten Asylkompromiss, stetig angeheizt haben, statt zu vermitteln. 2017 räumte immerhin die Ostsee-Zeitung ihre Verantwortung durch ihre angeheizte Berichterstattung ein – eine Verantwortungsübernahme, die von politischer Seite bis heute fehlt.

Die Arroganz der politischen Entscheidungsträger, die jegliche Verantwortung von sich wiesen, ist erschreckend und bis heute nicht nachvollziehbar. Das dreißigjährige Erinnern an das Pogrom von Rostock-Lichtenhagen sollte daher dazu genutzt werden, aus den politischen Fehlern von damals zu lernen und diese aufzuarbeiten. Dafür ist es unerlässlich, dass die Politik sich den Opfern rassistischer Gewalt zuwendet und ihre Perspektive, die 1992 fehlte und die – wenn man sich die Diskussionen um die Gedenkstätte der Opfer von Hanau ansieht – bis heute zu wenig berücksichtigt wird, annimmt. Doch die Verantwortung liegt nicht allein bei der Politik, sondern ein Eintreten der Mehrheitsgesellschaft für die von Rassismus Betroffenen in unserer Gesellschaft ist unbedingt erforderlich – damit sich die erschreckenden Bilder der Solidarisierung der Anwohner*innen mit Neonazis nie wiederholen.